Island bietet neue Chancen durch Diversifikation
Reichlich Raum für Zusammenarbeit: Energie, Innovation, Nachhaltigkeit und Technologie
Passend zur relativ jungen Landmasse Islands, die sich noch im Entstehungsprozess befindet und allein im Jahr 2024 sieben Eruptionen verzeichnete, ist auch die Wirtschaft im Wandel. Innovation und Kreativwirtschaft haben mittlerweile eine wachsende Bedeutung bekommen, so dass die Wirtschaft nun vielfältiger ist als zuvor und beispielsweise der Tourismus einen bemerkenswerten Aufschwung erlebte.
Frau Jonsdottir, Island und Deutschland haben eine lange und enge Beziehung, deren historische Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert reichen. Wo sehen Sie aktuell Raum für eine weitere Zusammenarbeit?
Zu den Schlüsselbereichen für die Zusammenarbeit gehören sicherlich erneuerbare Energien, Technologie und Innovation, nachhaltige Landwirtschaft, Meeresindustrie, Kohlenstoffabscheidung und Bildung. Durch gemeinsame Projekte können beide Länder ihr jeweiliges Fachwissen nutzen, um globale Herausforderungen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit und technologische Innovation anzugehen.
Island will als erstes Land bis 2030 Strom aus einem Solarkraftwerk im Orbit nutzen. Wie wichtig ist die Solarindustrie in Island? Werden Technologien oder Dienstleistungen benötigt?
Insgesamt ist Island im Bereich der erneuerbaren Energien weltweit führend und deckt den größten Teil des Strom- und Wärmebedarfs des Landes aus Erdwärme und Wasserkraft. 90 Prozent der isländischen Haushalte werden mit geothermischem Wasser beheizt, und fast der gesamte Strom in Island wird aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt, wobei 70 Prozent des Stroms aus Wasserkraftwerken und 30 Prozent aus geothermischer Energie stammen. Diese Ressourcen sind reichlich vorhanden und zuverlässig, was sie zu den wichtigsten Energiequellen macht.
Die Lage Islands in der Nähe des Polarkreises bedeutet jedoch, dass es lange, dunkle Winter mit wenig Sonnenlicht gibt, was das Potenzial der Solarenergie erheblich einschränkt. Solarenergie wird in Island daher nicht so häufig genutzt, wie in sonnenreicheren Regionen, sie könnte somit eher als ergänzende Energiequelle denn als Hauptenergiequelle dienen.
Aufgrund der ohnehin schon niedrigen Strompreise in Island, die zu den niedrigsten der Welt gehören, ist die Solarenergie daher noch keine finanziell tragfähige Alternative für die allgemeine Stromerzeugung. Angesichts des steigenden Energiebedarfs, der durch die Klimaziele, das Bevölkerungswachstum und die Expansion der Wirtschaft bedingt ist, könnte Island jedoch in Zukunft einen erhöhten Bedarf an vielfältigeren Stromquellen haben. Aufgrund von Fortschritten in der Technologie, Kostensenkungen oder politischen Veränderungen könnte Solarenergie zu einer wettbewerbsfähigeren Alternative für die Stromerzeugung werden.
Über Windkraftanlagen wird in Island in jüngster Zeit heftig diskutiert, da das Land über die Ressource Wind verfügt, die es sich zunutze zu machen gilt. Wie andere Energieanlagen auch können Windparks jedoch Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben, worüber viel gesprochen wird. Bislang hat die isländische Regierung noch keinen vollständigen Rahmen für Windparks geschaffen.
Auch wenn die Solarenergie aufgrund geografischer Faktoren begrenzt bleibt und Windparks in der Diskussion sind, sollte man bedenken, dass der Strom in Island effizienter genutzt werden kann und dass es Möglichkeiten gibt, die Energieeffizienz zu verbessern.
Eng mit Energie verknüpft ist der CO2-Ausstoß. Jüngst war zu lesen, dass sich Island zu einem Hotspot der CO2-Speicherung entwickeln könnte. Wie sieht es mit technologischen Voraussetzungen bzw. Umweltschutz aus?
Island könnte sich in der Tat zu einem Hotspot für die CO2-Speicherung entwickeln, da die Bedingungen für die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) günstig sind. Die geologischen Gegebenheiten des Landes, insbesondere die porösen Basaltgesteinsformationen, die in vulkanischen Regionen zu finden sind, eignen sich hervorragend für die sichere Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund. Dies macht Island zu einem idealen Standort für groß angelegte CCS-Projekte, die einen Beitrag zu den weltweiten Bemühungen zur Eindämmung des Klimawandels leisten.
Was die technologischen Anforderungen betrifft, so haben wir das Carbfix-Projekt in Island, dessen Methode von Reykjavik Energy (OR) in Zusammenarbeit mit der Universität von Island und ausländischen Parteien entwickelt wurde. Carbix fängt CO2 aus dem Geothermiekraftwerk Hellisheidi ab und injiziert es in den Untergrund, wo es in nur zwei Jahren im Gestein mineralisiert wird. Der Ansatz von Carbfix gewinnt weltweit an Zugkraft, insbesondere in Zusammenarbeit mit Climeworks, das an Systemen zur direkten Abscheidung aus der Luft arbeitet. Gemeinsam tragen diese Technologien zu einer umfassenden Lösung für die Abscheidung und Speicherung von Kohlenstoff in großem Maßstab bei.
Aus meiner Sicht liegt der Erfolg von Projekten wie Carbfix in der Zusammenarbeit und im Teamwork. Es ist immer wichtig, zusammenzuarbeiten. Carbfix demonstriert nicht nur die technologischen Fähigkeiten, sondern dient auch als Modell für andere Nationen, die ähnliche CO2-Speicherlösungen umsetzen wollen."
Neben seiner führenden Rolle bei der CO2-Speicherung, ist Island auch Vorreiter bei der Neugestaltung der Wirtschaft. Für seine Förderung der Wirtschaft des Wohlbefindens wurde Island in diesem Jahr ausgezeichnet. Wie sieht es mit dem Gesundheitssektor aus? Werden medizinische Geräte benötigt?
Das isländische Gesundheitssystem gilt allgemein als gut zugänglich und bietet Dienstleistungen auf allen Ebenen der Gesundheitsversorgung an, von der medizinischen Grundversorgung bis hin zur spezialisierten medizinischen Behandlung. Es wird durch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge finanziert und hat das Ziel, den Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Einwohner zu gewährleisten.
Wie viele andere Gesundheitssysteme steht auch das isländische System vor Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Überfüllung von Krankenhäusern, lange Wartelisten für bestimmte Verfahren oder Behandlungen und knappe Budgets. Der Schwerpunkt liegt daher auf dem Einsatz von Technologie und präventiver Gesundheitsfürsorge, um das System zu verbessern.
Im jüngst vorgestellten Haushalt 2025 haben Verkehrsprojekte Vorrang. Gibt es entsprechende Ausschreibungen, an denen sich deutsche KMU beteiligen könnten?
Island ist Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), und das EWR-Abkommen gewährleistet den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital sowie eine einheitliche Politik in diesem Bereich. Dieser Rahmen ermöglicht es deutschen KMU, sich an Ausschreibungen in Island zu beteiligen, auch an solchen für Verkehrsprojekte. Diese Projekte können den Ausbau der Infrastruktur, den öffentlichen Verkehr usw. betreffen.
Deutsche KMU, die an einer Teilnahme interessiert sind, können in der Regel über die isländischen Plattformen für das öffentliche Beschaffungswesen oder über Partnerschaften mit lokalen Unternehmen einschlägige Ausschreibungen finden. Es ist wichtig, sich über die spezifischen Ausschreibungsverfahren, Vorschriften und eventuelle Sprachanforderungen zu informieren. Öffentliche Ausschreibungen aus Island, die aufgrund ihres Umfangs europaweit publiziert werden, finden Sie bei TED (Tenders Electronic Daily).
Neben notwendigen Verkehrsprojekten ist auch von Wohnungsmangel in der isländischen Metropolregion zu lesen.
Jahrhundertelang lebten die Isländer in Torfhäusern, die aus den in der Natur vorhandenen Materialien gebaut wurden. Ihre Wände bestanden aus Torf und Stein, und das Dach wurde hauptsächlich aus Holz und Torf gebaut. Man kann sagen, dass dies sehr umweltfreundliches Baumaterial war. Andererseits war es aber auch sehr ungeeignet und nicht gerade langlebig. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts haben sich die Wohnverhältnisse der Isländer mit dem Aufkommen geeigneterer Baumaterialien, die in das Land importiert wurden, wie Zement, Holz, Stahlstangen und Gipsmaterial, stark verändert.
Die Wohnungsknappheit in Reykjavik und anderen städtischen Gebieten Islands könnte das Ergebnis einer Kombination aus schnellem Bevölkerungswachstum, begrenzter Verfügbarkeit von Grundstücken, hohen Baukosten und erhöhter Nachfrage durch den Tourismus sein.
In Medien war zu lesen, dass Island eine Gurkenkrise hatte. Was hat es damit auf sich? Konnte Deutschland helfen?
Ja, im August kam es in Island zu einer Gurkenknappheit, die sowohl lokal als auch international für Aufsehen sorgte. Während viele spekulierten, dass dies auf ein beliebtes Gurkensalat-Rezept auf TikTok zurückzuführen war, ist die wahrscheinlichere Erklärung der Mangel an Sonnenlicht, der die Gartenbauern im vergangenen Sommer beeinträchtigte. Außerdem müssen die Landwirte ihre Pflanzen viermal im Jahr ersetzen, was zu einem Ungleichgewicht führen kann, wenn die neuen Pflanzen noch nicht reif genug sind, um einen vollen Ertrag zu liefern.
Aufgrund des schwierigen Klimas mit langen Wintern und kurzen Wachstumsperioden ist der isländische Agrarsektor im Vergleich zu anderen Ländern klein. Er spielt aber eine wichtige Rolle für die Nahrungsmittelproduktion und die kulturelle Identität. Der Schwerpunkt liegt auf der Viehzucht, insbesondere Schafzucht und Milchwirtschaft, sowie auf der Nutzung geothermischer Energie für die Gewächshauswirtschaft.
Wichtig zu wissen ist, dass Landwirtschaft und Fischerei nicht unter das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) fallen, so dass Island seine eigenen Handelsabkommen für diese Sektoren unterhält. Obwohl Island einige Lebensmittel selbst produziert, ist es bei vielen wichtigen Lebensmitteln auf den internationalen Handel angewiesen. Deutschland ist einer der wichtigsten Handelspartner Islands innerhalb der Europäischen Union und liefert eine Vielzahl von Lebensmitteln, von Grundnahrungsmitteln wie Getreide, Mehl und verarbeiteten Lebensmitteln bis hin zu Luxusartikeln wie Schokolade, Wein und Bier. Auch andere Waren wie Maschinen, Fahrzeuge und Industrieerzeugnisse werden aus Deutschland eingeführt.
Sie erwähnten es bereits, Island gehört nicht zur EU. Wie sehen die geschäftlichen Rahmenbedingungen aus?
Ja, Island ist zwar nicht Teil der EU, aber als Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), ist Island in den EU-Binnenmarkt integriert und der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital sowie gemeinsame Politiken sind gewährleistet. Lediglich Landwirtschaft und Fischerei fallen nicht unter das EWR-Abkommen.
Unternehmen können sich somit auf den europäischen und skandinavischen Rechtsrahmen und die Qualitätsstandards verlassen. Neben einer Körperschaftssteuer von 20 Prozent, ist zum Beispiel auch erwähnenswert, dass in Island anfallende Film- und Fernsehproduktionskosten zu 12 Prozent erstattet werden.
Das isländische Zentrum für Forschung (RANNIS) unterstützt Forschung, Innovation, Bildung und Kultur in Island. RANNIS verwaltet wettbewerbsfähige Fonds und strategische Forschungsprogramme in diesen Bereichen. Es beherbergt auch das Enterprise Europe Network in Island, das kleinen und mittleren Unternehmen, Universitäten und öffentlichen Einrichtungen hilft, sich über das weltweit größte Unternehmensnetzwerk zu vernetzen. Mit rund 3.000 Fachleuten an mehr als 450 Standorten in gut 50 Ländern unterstützt das Netzwerk Unternehmen weltweit.
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