Globale Lösungen für globale Herausforderungen

Um die EU-Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen, sind unterschiedliche Maßnahmen erforderlich. Lieferketten diversifizieren und verkürzen, strategische Reserven erstellen, die Inlandsproduktion steigern und offener Handel gehören dazu. Wie die EU insbesondere kleine und mittlere Unternehmen bei internationalen Aktivitäten unterstützt, erläutert Denis Redonnet.

Globale Lösungen für globale Herausforderungen
Im Gespräch mit
Denis Redonnet
Chief Trade Enforcement Officer, DG Trade

Die seit einem Jahr grassierende Covid 19-Pandemie hat gezeigt, wie sich abrupte Einschränkungen auf die internationale Arbeitsteilung und damit die Geschäfte der KMU auswirken. Viel war in diesem Zusammenhang von Re- oder Nearshoring zu lesen. Wie schätzen Sie längerfristig die Auswirkungen im Hinblick auf den Handel in der EU bzw. auf den Handel der EU mit Ländern außerhalb der EU ein?

Die Covid-19-Krise hat zu einer Reihe von Störungen in der Lieferkette geführt, und es gab eine Tendenz, dafür die Schuld in der hohen Vernetzung der Volkswirtschaften zu suchen. Offene Volkswirtschaften, wie eine aktuelle Studie der OECD zeigt, sind jedoch widerstandsfähiger als geschlossene Volkswirtschaften, solange die Lieferketten ausreichend diversifiziert sind. Dies wurde auch in der Corona Krise deutlich, als es möglich war, Masken und Schutzkleidung aus der ganzen Welt zu beziehen und dies uns ermöglichte, die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage in Europa schnell zu schließen. Offener Handel ist eine Stärke für die Widerstandsfähigkeit einer Wirtschaft, keine Schwäche. Trotzdem besteht die Gefahr, dass sich einige Länder, die sich mit den Folgen der Krise auseinandersetzen, für einen eher protektionistischen Politikmix entscheiden, der sich nachteilig auf ihre eigene Wirtschaft und ihre Verbraucher auswirkt und die globale Erholung gefährdet.

In Bezug auf Europa ist es weder möglich noch wünschenswert, alles in Europa zu produzieren; wir müssen die Wahl und Alternativen gewähren. Wir sollten jedoch unsere Lieferketten diversifizieren und unerwünschte Abhängigkeiten in strategischen Sektoren, sowohl in wirtschaftlicher als auch in geopolitischer Hinsicht, vermeiden. Dies ist wichtig, um feststellen zu können, wie wir unsere Widerstandsfähigkeit verbessern können. Die EU verfolgt ein Modell der „offenen strategischen Autonomie“. Dies bedeutet, die Fähigkeit der EU zu stärken, ihre eigenen Interessen unabhängig und selbstbewusst zu verfolgen und gleichzeitig mit Partnern auf der ganzen Welt zusammenzuarbeiten, um globale Lösungen für globale Herausforderungen zu liefern.

Um die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, muss die EU sowohl intern als auch extern handeln.

• Der Außenhandel ist zunehmend der Volatilität der internationalen Beziehungen ausgesetzt: Spannungen zwischen den großen Weltwirtschaften, ein Anstieg von Unilateralismus und Wirtschaftsnationalismus, eine stärkere Verstrickung von Staat und Wirtschaft. Es wird wichtig sein, internationale Governance-Maßnahmen zu entwickeln, die Stabilität und Vorhersehbarkeit unterstützen.

• Der EU-Binnenmarkt ist ein lebender Beweis für die grundlegenden Vorteile, die Handel und Zusammenarbeit bringen können. Die Rolle der innereuropäischen Handelspolitik ist es, die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie durch Exportmöglichkeiten und die Festlegung von Standards zu gewährleisten und den Unternehmen und Arbeitnehmer in der EU vor zunehmenden  unlauteren Handelspraktiken zu schützen.

Während Exporte häufig als Maß für Erfolg gelten, sind Importe in einer globalen Wirtschaft, die auf internationaler Arbeitsteilung beruht, ebenso wichtig. Die EU spielt auf internationaler Ebene eine führende Rolle darin, die globalen Lieferketten offen, belastbar und nachhaltig zu halten. Die EU-Wirtschaft widerstandsfähiger zu machen erfordert eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen, wie die Zulieferung auf Länder- und Unternehmensebene zu diversifizieren, strategische Reserven und Lagerbestände zu erstellen sowie Lieferketten zu verkürzen oder die Inlandsproduktion zu steigern.

Im Juni vergangenen Jahres hat die Europäische Kommission eine Überprüfung der Handels- und Investitionspolitik der EU eingeleitet. Mit 414 eingegangenen Antworten unterstreicht die Konsultation nicht nur das allgemeine Interesse, sondern auch die Bedeutung des Themas.

Wie viele der KMUs sind denn derzeit in der EU international tätig? Wie viele beschränken sich dabei auf den EU-Binnenmarkt und wie viele sind außerhalb der EU aktiv?

Laut den neusten Daten auf EU-Ebene von 2017 gibt es mehr als 1,3 Millionen europäische KMUs, die außerhalb ihres Landes in den EU-Binnenmarkt und / oder in Weltmärkte exportieren. Rund 45 Prozent sind international in Ländern außerhalb der EU tätig.

Die empirischen Daten deuten darauf hin, dass die Zahl der KMUs, die aus der EU in die Welt exportieren, im Laufe der Zeit stetig gestiegen ist. Diese KMUs exportierten Waren im Wert von 476 Milliarden Euro, was 28 Prozent des Gesamtwerts der Exporte außerhalb der EU im Jahr 2017 entspricht. In vielen Wirtschaftssektoren machen EU-KMUs mehr als 50 Prozent des Gesamtwerts der EU-Exporte aus (z.B. Textilien, Möbel, Druck und Medien, landwirtschaftliche Erzeugnisse, Holzprodukte).

Über die Hälfte der EU27-KMU-Exporte entfielen auf KMUs aus den vier Mitgliedstaaten Italien, Deutschland, Frankreich und Spanien. Während dies angesichts der Größe dieser Mitgliedstaaten zu erwarten ist, erwirtschaften in mehreren kleineren EU-Mitgliedstaaten (z. B. Estland, Zypern, Lettland, Ungarn, Portugal) exportierende KMUs einen beträchtlichen Anteil der Gesamtexporte dieser Länder, der deutlich über dem EU Durchschnitt von 28 Prozent liegt.

Zu beachten ist vor allem, dass die EU-KMU-Exporte einen wesentlichen Anteil an der exportorientierten Schaffung von Arbeitsplätzen haben: Wir schätzen, dass exportierende KMUs in der EU mehr als 13 Millionen Arbeitsplätze in Europa unterstützen (37 Prozent aller durch Exporte unterstützten EU-Arbeitsplätze), wobei der Beitrag von Waren- und Dienstleistungsexporten in etwa vergleichbar ist.   

Um KMU in ihren internationalen Aktivitäten zu unterstützen hat die EU-Kommission Mitte Oktober das neue Portal Access2Markets gestartet. Worin besteht der Unterschied zum bisherigen Angebot?

Bisher hatten wir zwei getrennte Plattformen, eine für Exporteure – die Market Access Database – und eine für Importeure – den Trade Helpdesk. Diese haben mehr als zehn Jahre lang ihren Dienst gut erfüllt. Unser Ziel war es, jetzt eine Webseite zu schaffen, welche nicht nur den Import und den Export zusammenführt und somit den internationalen Handel besser abbildet, sondern auch eine Seite, welche den KMUs einen Einstieg in den internationalen Handel ermöglicht. Dafür haben wir nun verschiedenste neue Dienste in die Webseite mit aufgenommen. 

Einer davon ist ROSA – das Rules of Origin Self Assessment Tool. Ursprungsregeln wurden schon in der Market Access Database gezeigt. Mit ROSA gehen wir einen Schritt weiter und ermöglichen es Unternehmen, in einfachen Schritten zur Festlegung der Ursprungsregeln für ihre Produkte zu kommen. Dies ist wichtig, um die oft ermäßigten Zollsätze bei Handelspartnern zu erhalten. Das aktuelle Beispiel mit dem Vereinigten Königreich zeigt dies – wenn kein EU-Ursprung nachgewiesen werden kann, sind die Exportzölle oft sehr hoch. Wir haben auch viel Wert auf Erklärungen von Begriffen gelegt, und jeder kann nun in einfacher Sprache unsere Handelsabkommen mit über 70 Ländern nachlesen und herausfinden, welche Vorteile diese für sein Unternehmen bereithalten. Zudem ist dies auf vielen Webseiten nun in allen 24 Amtssprachen der EU möglich.

Was ist das Besondere an dem Portal?

Das Portal bietet Informationen für eine Vielzahl von Akteuren, ob nun sehr erfahrene Händler oder solche, die gerade erst mit dem internationalen Handel anfangen, sowie für KMU-unterstützende Organisationen. Diesbezüglich erfasst Access2Markets alle Länder für den Import und über 120 Länder für den Export, sowie den innereuropäischen Warenhandel. Dabei werden die Nomenklatur, Tarife, Zölle, Importformalitäten, Ursprungsregeln, Handelshemmnisse und Statistiken abgedeckt. Jede dieser für den Handel wichtigen Informationen wird regelmäßig überarbeitet. Wir sind uns keiner Datenbank bewusst, die so regelmäßig und so oft aktualisiert wird.

Des Weiteren ist das Portal weltweit zugänglich und dies ohne Anmeldung und kostenfrei. Nur der Zugang zu den Informationen zu Zöllen, Steuern und Importformalitäten ist aus Drittländern eingeschränkt. Wir möchten eine faire Basis für den Handel schaffen und diesem Ziel sind wir mit dem Portal ein großes Stück näher gekommen.  

Haben Sie schon erste Reaktionen auf das neue Portal bekommen?

Die Reaktionen sind eindeutig. Wir haben schon jetzt ein Drittel mehr tägliche Besucher auf Access2Markets registriert als Market Access Database und Trade Helpdesk zusammen. Zurzeit stehen wir bei ungefähr 10.000.

Für die Personen, die die vorherigen Plattformen genutzt haben ist die Umstellung nicht immer einfach. Wir versuchen jedoch, auch diese von den vielen Vorteilen zu überzeugen. Oft wird befürchtet , dass Informationen nun nicht mehr vorhanden sind. Dies ist jedoch nicht der Fall. Wir haben alle Informationen übernommen und vieles noch hinzugefügt.

Wir sind dabei, das Portal bekannt zu machen, indem wir viele praktisch orientierte Seminare abhalten. Die Umstellung zum Homeoffice in Zeiten der Pandemie war dahingehend hilfreich, als dass es jetzt ganz normal ist, diese über Videokonferenzen zu gestalten. Wir decken fast alle EU-Sprachen ab und jeder kann sich dazu schalten, egal welche Handelserfahrungen er oder sie hat.  In den Seminaren wird deutlich, dass das Portal sich an Praktiker wendet, welche sehr konkrete Fragen haben, die wir versuchen zu beantworten und abzudecken.

Nach den Seminaren bekommen wir viele Rückmeldungen. Einige loben das Portal, viele geben uns auch sehr konkrete Ideen zur Verbesserung, was wir sehr begrüßen. Das Portal ist für KMUs entworfen und nur wenn es von diesen auch genutzt wird, ist es ein Erfolg.

Das Portal richtet sich besonders an KMUs. Waren diese an der Gestaltung der Seiten beteiligt?

In der Tat wurde Access2Markets speziell für die Bedürfnisse von KMUs entwickelt. Diese verfügen häufig nur über begrenzte Ressourcen, auch um Rechts- oder Finanzberatung für den Eintritt in den globalen Markt zu bezahlen.

In der Vorbereitungsphase für den Aufbau von Access2Markets, haben wir Umfragen mit KMUs und deren Dachverbänden durchgeführt, um sicherzustellen, dass wir die Bedürfnisse und Anforderungen der Unternehmen verstanden haben. Weitere Umfragen und Interviews folgten in mehreren Phasen, um im Verlauf der Entwicklung ein Echtzeit-Feedback zu Design und Inhalt der Website zu gewährleisten. Sobald ein konkreter Prototyp verfügbar war, wurden auch mit Hilfe von Unternehmen und Unternehmensverbänden detailliertere Tests und Bewertungen durchgeführt, und wir haben die Feinabstimmung bis zur Veröffentlichung im Oktober 2020 fortgesetzt.

Wir haben mit dem Enterprise Europe Network zusammengearbeitet, um anhand deren Expertise direkten Zugang zu und Rückmeldung von KMUs zu erhalten.

Wir sammeln jetzt weiterhin Feedback von KMUs und Unternehmensverbänden durch die speziellen Schulungen, die wir derzeit durchführen, und sind weiterhin offen für ihre Vorschläge und für die Anpassung des Portals an ihre Bedürfnisse.


Anregungen für mehr Diversifizierung in Handel und Produktion, finden Sie im Bereich Kooperationsservice.

Iris Hemker
Länderinfos, Kooperationsservice


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