Ukraine: Perspektiven für die Wirtschaft
Russlands Krieg in der Ukraine hat verheerende Auswirkungen auf die ukrainische Wirtschaft, mit dramatischen Folgen für internationale Lieferketten, Produktionsmittel und die Lebensmittelsicherheit, sowohl regional als auch global. Verschiedene Initiativen zur Unterstützung der Wirtschaft stellt Ulla Engelmann, Leiterin des Referats D2 Industrieforum, Allianzen, Cluster der Generaldirektion für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU.
Bereits seit Februar toben die Kämpfe in der Ukraine: Die Zerstörungen im Land sind massiv. Die durch die illegale russische Aggression ausgelöste Schockwelle hat schwerwiegende Störungen in den globalen Wertschöpfungsketten hervorgerufen. Wie bewerten Sie dies?
Die Europäische Kommission richtete kurz nach Kriegsbeginn eine Arbeitsgruppe für Lieferkettensicherheit ein, um schnell auf die sich ständig ändernde Situation reagieren zu können. Die Ergebnisse sind nun für alle Bürger und Unternehmen öffentlich zugänglich und werden auch regelmäßig aktualisiert.
In Zusammenarbeit mit dem ‚Enterprise Europe Network‘, führte die .European Cluster Collaboration Platform‘ im April 2022 eine umfassende Umfrage durch. Ziel: Erfassung des Ausmaßes der Lieferketten-Probleme mit denen europäische Unternehmen derzeit konfrontiert sind. Etwa 500 kleine und mittlere Unternehmen aus der Bau-, Agrar-, Gesundheits- sowie Mobilitätsbranche beteiligten sich an der Umfrage.
Die Umfrage-Ergebnisse zeigen auf, dass vor allem die Eingangs- und Ausgangslogistik, die Unternehmens-Beschaffung sowie weitere Teile innerhalb der Wertschöpfungsketten betroffen sind. Mindestens 30 Prozent der befragten Unternehmen sahen sich mit großen Verlusten bei der Beschaffung sowie beim Verkauf konfrontiert.
Um Lösungsansätze für die gegenwärtigen Lieferketten-Probleme zu finden, wurde im Mai eine weitere Umfrage in Auftrag gegeben. Über Antworten freuen wir uns bis zum 31. Juli 2022. (Zur Umfrage: Lösungsorientierter Ansatz für Unterbrechungen der Lieferkette)
Die Ukraine möchte sich wirtschaftlich gern eng an die EU binden. Wie kann dies aussehen?
Im vergangenen Juni traf der Rat der Europäischen Union die historische Entscheidung, der Ukraine eine klare europäische Perspektive zu bieten, und dem Land den Kandidatenstatus für den EU Beitritt zu verleihen. Die Beitrittsverhandlungen sowie der Wiederaufbau des Landes sollen dabei parallel verlaufen.
Ich möchte aber ausdrücklich betonten, dass die bereits geleistete humanitäre Hilfe und finanzielle Unterstützung, durch massive wirtschaftliche Investitionen ergänzt werden muss. Aus diesem Grund informiert das ‚Enterprise Europe Network‘ auf seiner Webseite Unternehmen über alle relevanten europäischen Initiativen und Projekte.
Sowohl weitere wirtschaftliche Reformen als auch die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine könnten die Wirkung der eingeleiteten europäischen Maßnahmen und das Vertrauen aller Marktteilnehmer natürlich weiter stärken.
Die Europäische Kommission hat der ukrainischen Regierung zudem vorgeschlagen eine Wiederaufbauplattform einzurichten, um den Investitionsbedarf zu erfassen und die Maßnahmen einer ehrgeizigen Reformagenda zu koordinieren. Das gab Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen während der Wiederaufbaukonferenz in Lugano am 4./ 5. Juli bekannt.
Der Fokus soll hier auf dem Wiederaufbau einer CO2 neutralen, digitalen und sozialen ukrainischen Marktwirtschaft liegen, die Wohlstand, Demokratie und Sicherheit der ukrainischen Bürger gewährleistet. Bei diesem Wiederaufbau werden die Wirtschaft sowie die enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Wirtschaftsverbänden eine wichtige Rolle spielen.
Die EU will sämtliche Waren der Ukraine zollfrei stellen und Kontingente aussetzen. Durch den russischen Beschuss der Ukraine ist auch der Transport beeinträchtigt. Gibt es auf diesem Gebiet auch Unterstützung?
Die Europäische Union hat auf die gegenwärtige Situation schnell reagiert und eine vorübergehende Handelsliberalisierung veranlasst. Diese zusätzlichen Handelserleichterungen ergänzen das 2017 in Kraft getretene Assoziierungsabkommen (EUR-Lex - 32022R0870 - EN - EUR-Lex (europa.eu))
Diese Verordnung führt Zoll-Vergünstigungen auf die Einfuhr bestimmter Produkte aus der Ukraine in die EU ein. Für einige Produkte wurden Zölle auch komplett gestrichen und die Anwendung des Einfuhrpreissystems für ausgewählte Produkte aufgehoben. Zollkontingente für bestimmte Produkte wurden ebenfalls ausgesetzt.
Mit Bezug auf Russlands Blockade ukrainischer Häfen und der internationalen Lebensmittelkrise hat die Europäische Kommission die ‘Solidarity Lanes’ Initiative ins Leben gerufen. Diese Initiative unterstützt die Ukraine bei der benötigten Logistik zum Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Zudem unterstützt die Europäische Union die Ukraine dabei dringend benötigte Waren zu importieren. Dazu gehören auch humanitäre Güter, sowie für die Landwirtschaft benötigte Futter- und Düngemittel.
Gerade um die kleinen und mittleren Unternehmen kümmert sich das EEN besonders. Seit wann ist die Ukraine im EEN und welche Effekte haben sich daraus bislang entwickelt?
Die Ukraine ist seit Mai 2017, also seit gut 5 Jahren, Teil des ‚Enterprise Europe Network‘. In dieser Zeit hat das ukrainische EEN Konsortium seine Reichweite, sowie die Qualität und den Wirkungsgrad seiner Dienstleistungen kontinuierlich verbessert.
In den vergangenen 2 Jahren wurde die Teilnehmerzahl ukrainischer Unternehmen bei Informations- und Schulungsveranstaltungen von 3.500 auf 5.400 gesteigert. Ferner wird die Partnership Opportunities Database, die Datenbank, mit der KMU in den beteiligten EEN-Ländern virtuell nach Geschäftspartnern im Ausland suchen können, umfangreich genutzt. Auch die Anzahl der Treffen zwischen ukrainischen und europäischen Unternehmen auf Kooperations-Börsen konnte in den vergangenen Jahren deutlich von 450 auf 1.600 erhöht werden. Einer stetig anwachsenden Anzahl ukrainischer und europäischer Unternehmen wird dabei zu kommerziellen Geschäftsabschlüssen verholfen. Im Kalenderjahr 2021 wurden 24 solcher Geschäftsabschlüsse zwischen europäischen und ukrainischen Unternehmen unterstützt. Diese Entwicklung wird von uns, in Anbetracht der gegenwärtigen Kriegssituation in der Ukraine, positiv bewertet.
Obwohl die ukrainische Regierung das Assoziierungsabkommen für eine Teilnahme am Binnenmarktprogramm (‘Single Market Programme’) noch nicht unterzeichnet hat, konnte sichergestellt werden, dass das ukrainische EEN Konsortium weiterhin örtlichen Unternehmen seine Dienstleistungen anbietet.
In dieser schwierigen Zeit wurde vom ukrainischen EEN Konsortium die Initiative ‚Cooperate with Ukraine‘ ins Leben gerufen. Diese Initiative verleiht ukrainischen Unternehmen die Möglichkeit ihre Produkte oder Dienstleistungen unterschiedlichster Branchen potenziellen europäischen Geschäftspartnern vorzustellen. In diesem Jahr wurden schon mehrere Geschäftsabschlüsse mit EU-Unternehmen unterzeichnet und weitere sind in Vorbereitung.
Wie unterstützt das EEN die KMU in der Ukraine noch?
Um gezielt auf die bereits geschilderten Herausforderungen reagieren zu können, haben das ‘Enterprise Europe Network’ und die ‘European Cluster Collaboration Platform’ eine Online-Plattform für kleine und mittlere Unternehmen ins Leben gerufen.
Diese ‘Supply Chain Resilience’ Plattform ermöglicht es ukrainischen und europäischen Unternehmen weltweit neue Zulieferer für unterbrochene Lieferketten zu finden. Innerhalb weniger Wochen wurde die Online-Plattform bereits 18.000-mal aufgerufen. Die Plattform präsentiert annähernd 800 Unternehmensprofile aus 40 Ländern mit mehr als 300 konkreten Angeboten bzw. Anfragen für Rohstoffe oder andere für die Aufrechterhaltung von Lieferketten relevante Güter und Dienstleistungen.
Darüber hinaus hat das EEN Konsortium in der Ukraine im Auftrag der Europäischen Kommission, und im Rahmen des bereits erwähnten Aktionsplans ‘EU-Ukraine Solidarity Lanes’, ein weiteres Online-Portal entwickelt. Das ‘Solidarity Lanes’ Online-Portal vereint europäische- und ukrainische Unternehmen um praktische Lösungsansätze für den Export landwirtschaftlicher Erzeugnisse aus der Schwarzmeerregion zu finden. Die Online-Plattform ist bereits auf großes Interesse europäischer und ukrainischer Unternehmen gestoßen. Das Portal wurde nach kurzer Zeit bereits mehr als 2.500-mal aufgerufen. Es beinhaltet mehr als 400 Unternehmensprofile aus 30 Ländern.
Weitere Unternehmen sind herzliche dazu eingeladen, diese neuen Geschäftsmöglichkeiten in vollem Ausmaß zu nutzen.
Neben den im Text verlinkten Hinweisen finden Sie Informationen über geschäftliche Rahmenbedingungen in der Ukraine in der entsprechenden Länderinformation. Darüber hinaus haben wir für Sie Kurzprofile ukrainischer Unternehmen, die auf der Suche nach Geschäftspartnern in Deutschland sind zusammengefasst und wir bieten Ihnen die Möglichkeit der aktiven Geschäftspartnersuche an.
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