Schweden: Innovationskraft auch in abgelegenen Winkeln

Energiewende, Klimaneutralität und Nachhaltigkeit spielen in Schweden bereits seit Jahren eine große Rolle. Ansatzpunkte für ein Engagement deutscher Unternehmen, sieht Dr. Ralph-Georg Tischer, Geschäftsführer der AHK Schweden, u.a. beim Ausbau schwimmender Windparks.

Schweden: Innovationskraft auch in abgelegenen Winkeln
Dr. Ralph-Georg Tischer
Geschäftsführer Deutsch-Schwedische Handelskammer (AHK)

Der Fund Seltener Erden in Nordschweden hat jüngst für große Schlagzeilen gesorgt. Macht sich bei Ihnen ein gestiegenes Interesse an Schweden bemerkbar?

Aktuelle Nachrichten aus Nordschweden über Rohstofffunde, die Produktion von Batterien oder fossilfreiem Stahl sowie über den Start von europäischen Raumfahrtprojekten verstärken eine globale Aufmerksamkeit, auch wenn konkrete Anwendungen zum Teil wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen müssen. Der Norden, viele Jahrzehnte als strukturschwacher, Holz und Erze liefernder Raum wahrgenommen, ist heute Sinnbild für die Transformationsgeschwindigkeit und die Innovationskraft Schwedens auch in den abgelegensten Winkeln des Landes.

Unabhängig dieser Aktualitäten liefern Stichworte wie Klimaneutralität, Nachhaltigkeit, Energiewende, Digitalisierung oder Innovationskraft viele Gründe, die Schweden schon seit Jahren regelmäßig nicht nur an die Spitze internationaler Standortrankings setzen, wie zuletzt auch im jährlichen Report der EU-Kommission „European Innovation Scoreboard 2022“. Sie führen auch sehr konkret zu einem ungebrochen hohen Interesse seitens ausländischer Unternehmen am Standort.

Auch die EU-Ratspräsidentschaft, die Schweden gerade innehat, lenkt den Fokus auf das Land. Schweden ist 1995 der EU und dem Binnenmarkt beigetreten. Wie hat sich dies ausgewirkt?

Heutzutage gehen mehr als 70 Prozent der schwedischen Exporte in den EU-Binnenmarkt und gut 80 Prozent der Importe kommen von dort. Schwedens Exporte in die EU sichern weit mehr als 700.000 heimische Arbeitsplätze und der Binnenmarkt ist in der Regel die erste Anlaufstelle für schwedische Unternehmen, die exportieren und international wachsen wollen. Schwedens Wirtschaft hat sich durch den Binnenmarkt kontinuierlich internationalisiert und in die globalisierte Wirtschaft integriert.

Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt ist dabei die äußerst positive Entwicklung der Zustimmungsraten zur EU.  Bei der schwedischen Volksabstimmung über den EU-Beitritt im Jahr 1994 stimmten 52,3 Prozent dafür und 46,8 Prozent dagegen, also im Rückblick eine relativ enge Angelegenheit. Mit mehr als Zweidritteln ist heute eine deutliche Mehrheit der schwedischen Bevölkerung positiv gegenüber der EU eingestellt. Die Stimmen für einen immer mal wieder diskutierten schwedischen Austritt aus der Union sind hingegen über die Jahre deutlich weniger geworden. Nicht zuletzt haben auch die innerhalb der EU gemeinsam bewältigter Krisen der Vergangenheit ihren positiven Beitrag geleistet.

Trotz gemeinsamer Erfolge ist die Stimmung in Deutschland derzeit trübe. Von Rezession, nachlassendem Konsum ist zu lesen. Sind die Aussichten in Schweden ähnlich dunkel?

Aufgrund der engen Verflechtung mit Europa und insbesondere mit der deutschen Wirtschaft entwickelt sich die schwedische Wirtschaft meist im relativen Gleichklang. So überrascht es nicht, dass auch für Schweden 2023 ein rezessives Jahr prognostiziert wird, mit einem möglichen BIP-Rückgang von etwa einem Prozent und steigender Arbeitslosigkeit.

Ob das Jahr wirklich ein „verlorenes Jahr“ wird, hängt von der Entwicklung der auch in Deutschland relevanten Faktoren ab: Energiepreise, Inflation, Wechselkurs, Zinshöhen und damit auch vom Konsumverhalten der bereits heute hoch verschuldeten Bevölkerung.  Spricht man jedoch mit den uns verbundenen Unternehmen, so scheint sich das erhöhte Gefühl der Unsicherheit über die wirtschaftlichen Aussichten noch nicht gänzlich in negativen Aussichten für 2023 widerzuspiegeln. Wir bleiben optimistisch!

Welche Rolle spielen die Russland-Sanktionen in Schweden?

Im Vergleich zu Deutschland sind die Auswirkungen gering. Russland spielt traditionell weder als Energielieferant noch als Handelspartner eine spürbare Rolle. Gas ist weder für die Industrie noch für die Haushalte ein systemrelevanter Energieträger, die Öllieferungen kommen größtenteils aus Norwegen. Im vergangenen Jahr wurden nur noch etwa 1,4 Prozent der gesamten schwedischen Warenausfuhren nach Russland exportiert. Die Boykotte werden mitgetragen und viele der etwa 400 schwedischen Aktivitäten in Russland stehen zur Disposition bzw. haben sich bereits aus dem Markt verabschiedet.

Energie ist ein gutes Stichwort. Eine große Rolle spielt in Schweden die Atomenergie. Sollten sich besonders energieintensive Betriebe im Land engagieren oder welchen Branchen aus Deutschland empfehlen Sie diesen Schritt?

Nicht nur die Atomenergie führt zu einem relativ günstigen Strompreisniveau, sondern der spezifische Energiemix des Landes, zu dem wir etwa zu gleich Teilen auch die Wasserkraft und die erneuerbaren Energien zu zählen haben. Dieser Mix ist eine gute Basis, um die Energietransformation weiter voranzutreiben, nicht zuletzt auch für die eigenen energieintensiven Betriebe, wie der Stahlgewinnung. Der Übergang zu fossilfreiem Leben und Arbeiten wird allein die Binnennachfrage nach „sauberer“ Energie deutlich steigen lassen, mit nicht vorhersehbaren Preiseffekten. Die Prognosen für Schweden gehen schon heute von mehr als einer Verdoppelung des Strombedarfs bis zum Jahr 2045 aus. Die politische Diskussion, zu welchen Bedingungen welche fossilfreie Stromerzeugung zur Bewältigung des Klimawandels Unterstützung erhalten soll, beginnt erst und wird im Ergebnis den Weg für zukünftige Investitionen weisen.

Für deutsche Unternehmen stellt sich die Frage, wie man sich in diesen Entwicklungsprozess einbringen kann. Aufbauend auf den traditionellen Energieträgern der Kern- und Wasserkraft sind Investitionen in die Offshore-Windenergie entscheidend für die Erreichung der Klimaziele. Der Anteil der Windenergie an der schwedischen Stromerzeugung beträgt derzeit etwa 17 Prozent, vor allem Onshore. Schwimmende Windparks bieten neue Chancen. Im Jahr 2021 beauftragte die Regierung die zuständige Behörde Svenska Kraftnät, die Bedingungen für eine verstärkte schwedische Offshore-Windenergieproduktion zu untersuchen. Hier ergeben sich vielfältige Ansatzpunkte für ein Engagement. 

Wegen gestörter Lieferketten suchen viele deutsche Firmen nach Zulieferern in Europa. Führt dies auch zu verstärkten Anfragen nach alternativen Lieferanten in Schweden?

Dies ist nicht auszumachen. Die schwedische Wirtschaft mit ihrem industriellen Kern ist in der Gemengelage vieler Standortfaktoren ein ungebrochen attraktiver Partner für deutsche Firmen. Da sich die Lage bei den Lieferketten nach Auskunft der Firmen wieder zu entspannen scheint, ist diese Motivation für die Suche nach Alternativen kein spürbarer Faktor, aus dem aktuell mehr Anfragen zu konstatieren wäre. Und nicht zu vergessen: Auch die schwedische Industrie steht vor gleichen Herausforderungen, die eher mittelfristige Lösungen erwarten lassen. 

Und umgekehrt: Sind auch Unternehmen in Schweden jetzt verstärkt auf der Suche nach Geschäftspartnern in Europa?

Selbstverständlich. Gerade die aktuelle politische Weltlage mit der Relativierung globaler Aktivitäten „zwingt“ mehr denn je den Blick auf die europäischen Nachbarländer zu richten, wenn es um Expansion oder Neuausrichtung des Exportgeschäftes geht. Dies ist aber nicht nur ein Trend. Seit Beitritt zum Binnenmarkt wird dieser Weg von der schwedischen Wirtschaft gesucht und beschritten. Und Deutschland spielt dabei mehr denn je eine zentrale Rolle als wichtigste Anlaufstation für Geschäfte und Kooperationen.

Schweden gehört zwar zur EU, aber nicht zur Eurozone. Betrachten Sie die eigene Währung als Standortvor- oder -nachteil für Unternehmen?

Die Wirtschaft läuft und das Land hat, folgt man allein den internationalen Rankings, seine führende Wettbewerbsposition auch jüngst eher weiter ausgebaut als verloren. Von einem spürbaren Standortnachteil durch die eigene Währung kann daher nicht gesprochen werden. Zwar machen sich viele importabhängige Unternehmen und schwedische Touristen im Ausland Sorgen um die schwache Krone, die in letzter Zeit gegenüber dem Euro etwa 10 Prozent an Boden verloren hat. Jedoch findet keine wirkliche Debatte um die Zukunft der Krone und einem Beitritt in den Euroraum statt. Die Krone bleibt ein deutliches Zeichen nationaler Souveränität.

Neben der anderen Währung hat auch jedes Land seine Eigenheiten im Geschäftsgebaren. Wo sehen Sie die größten Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten und wie sollten deutsche Unternehmen am besten mit diesen Unterschieden umgehen?

Oberflächlich betrachtet haben Deutschland und Schweden viele Gemeinsamkeiten, was wir allein schon aus der geographischen Nähe meinen ableiten zu können. Aber wir stellen immer wieder fest, wie sehr eher unentdeckte kulturelle Unterschiede das Geschäftsgebaren doch prägen und verkomplizieren. Der Teufel steckt im Detail und kann gut Gemeintes schnell ins Gegenteil kehren. Flache Hierarchien mit offenen Informationswegen, flexible Arbeitszeitmodelle, informelle und eher unverbindlichere Kommunikation und Beschlusslagen liefern aus deutscher Sicht Stichworte für Aufklärung, die im Spiegel auch für die schwedische Seite aufgefangen werden müssen. Wir führen regelmäßig Workshops zu diesem Thema durch und unsere Buchveröffentlichung „Der deutsch-schwedische Businessführer“ hilft ebenso, unbewusste Missverständnisse zu erkennen. 


Unternehmen, die sich in Schweden engagieren möchten, finden weitere Hinweise über geschäftliche Rahmenbedingungen in der Länderinformation Schweden. Kurzprofile schwedischer Unternehmen, die Partner in Deutschland suchen, sind ebenfalls beim EuropaService zu finden. Auch die aktive Geschäftspartnersuche ist möglich.

Informationen zur AHK Schweden finden Sie unter https://www.handelskammer.se/de.


Copyright

© Diese Ausarbeitung oder Teile aus ihr dürfen ohne Erlaubnis des EuropaService der Sparkassen-Finanzgruppe nicht reproduziert werden. Zitate sind mit Nennung der Quelle gestattet. Die Weitergabe durch Institute der Sparkassen-Finanzgruppe an deren Kunden ist frei.

Iris Hemker
Länderinfos, Kooperationsservice


030 20225 5796


030 20225 5799