Bulgarien: Große Armut - guter Standort

14.05.2013

Nur etwa 50 Prozent der Wahlberechtigten sind zur vorgezogenen Parlamentswahl gegangen. Eine absolute Mehrheit erreichte keine Partei, die Regierungsbildung wird schwierig in dem ärmsten Land Europas. Dr. Mitko Vassilev, Hauptgeschäftsführer der AHK Bulgarien und seit August 2003 auch Repräsentant des Landes Bayern in Bulgarien, weist vor allen Dingen auf die wirtschaftlichen Möglichkeiten hin, die das Land ausländischen Firmen bieten kann.

Im Gespräch mit
Dr. Mitko Vassilev
Hauptgeschäftsführer der AHK Bulgarien

Herr Dr. Vassilev, beim Stichwort Bulgarien fällt vielen Deutschen derzeit eher die Armutseinwanderung ein. Woran sollte man unter unternehmerischem Blickwinkel bei diesem südosteuropäischen Land stattdessen denken?

Um die Armutseinwanderung zu stoppen, müssen in Bulgarien Arbeitsplätze geschaffen werden. Das wird auch im Sinne der westeuropäischen Länder sein. Um Arbeitsplätze zu schaffen, braucht Bulgarien ausländische Investitionen und eine starke Nachfrage nach  bulgarischen Dienstleistungen und Waren. Bulgarien ist ein guter Standort, der viel zu bieten hat. Oftmals wird nur negativ berichtet und die positiven Aspekte bleiben im Hintergrund. 

Korruption ist ein weiteres Stichwort, das vielen Deutschen bei Bulgarien einfällt. Wie klappt es denn tatsächlich vor Ort mit der Verständigung zwischen deutschen Unternehmen und der bulgarischen Verwaltung?

Korruption ist kein allein bulgarisches Phänomen. Korruption gibt es in vielen anderen Ländern der Welt. Die jüngste Konjunkturumfrage ergab: 70 Prozent der befragten Unternehmen sind mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption unzufrieden. 27 Prozent geben eine durchschnittliche Note.

Korruption gibt es in Bulgarien nicht nur auf der Führungsebene, sondern auch in den niedrigen Verwaltungsetagen. Im Unterschied zu Deutschland wird die Korruption in Bulgarien auch von den kleineren Unternehmen und von der Bevölkerung gespürt. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Verhältnisse zwischen Unternehmen und Verwaltung müssen auf einer Mischung von ethischen und gesetzlichen Normen basieren. Aufgrund des niedrigen Lohnniveaus in der öffentlichen Verwaltung gibt es für die Korruption einen fruchtbaren Boden. Andererseits gibt es auch gute Beispiele für Zusammenarbeit  zwischen deutschen Unternehmen und der bulgarischen Verwaltung, die ausgezeichnet sind, und die überhaupt nicht von Korruption überschattet sind. Und das behaupten die deutschen Unternehmer selbst. 

Die Staatsfinanzen des Landes gelten als besonders solide: Die Defizitquote für das vergangene Jahr wird mit 1,5 Prozent angegeben und die Staatsverschuldung mit 18 Prozent. Sieht die Haushaltslage der Unternehmen ähnlich gut aus? Wie sind die Zahlungsgewohnheiten?

Die strenge Fiskalpolitik der Regierung Borissov hat für die niedrige Defizitquote gesorgt. 36 Prozent der befragten Mitgliedsunternehmen der AHK Bulgarien beurteilen die Lage ihres Unternehmens als gut, elf Prozent schätzen die Lage des Unternehmens als schlecht ein. 45 Prozent sind optimistisch eingestellt und glauben, dass sich die Lage im laufenden Jahr zum Besseren entwickeln wird. Lediglich 18 Prozent der Befragten sind mit der Zahlungsdisziplin zufrieden. 42 Prozent geben eine durchschnittliche Note und der Rest ist unzufrieden.

Im Herbst 2012 wurde in Bulgarien eine Änderung des Handelsgesetzes verabschiedet, das die Unternehmen und den Staat verpflichtet, sich an kürzere Zahlungsfristen zu halten. Wir hoffen, dass sich die neue Regelung auf der Zahlungsmoral positiv auswirkt. Ein großes Problem bleibt aber nach wie vor die große Verschuldung der Unternehmen untereinander. Der Staat kann auf diesem Gebiet nicht intervenieren, aber mit guten Beispielen eine tadellose Zahlungsmoral unterstützen. In der Praxis ist das leider nicht der Fall. 

Was würden Sie sagen, macht Bulgarien für deutsche Klein- und Mittelbetriebe besonders attraktiv?

  •  Guter makroökonomischer Rahmen
  •  Stabile Währung, da die bulgarische Währung an den Euro gebunden ist. Der so genannte Währungsrat wurde 1997 in Bulgarien eingeführt. Bulgarien ist vielleicht das letzte DM-Land, denn der Währungskurs ist wie kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands: 1 Euro = 1,95583 Lewa.
  •  Gute Sprachkenntnisse (auch Deutsch) der Arbeitskräfte
  •  Strenge Fiskalpolitik
  •  Niedriger Steuersatz von 10% für Körperschaft- und Einkommensteuer, der zulässt, dass Investoren relativ schnell Kapital generieren können.
  •  Marktnischen in interessanten Branchen wie Umwelt, Leichtindustrie, Landwirtschaft, IT, Outsourcing
  •  Aus geopolitischer Sicht – strategische Position als Außengrenze der EU, Kreuzung zwischen Europa und Asien, Nähe zu Wachstumsmärkten. 

Im Handel zwischen Bulgarien und Deutschland steht Deutschland bei den Exporten auf Platz 1 und bei den Importen auf Platz 2. Bei den Direktinvestitionen lag Deutschland im Jahr 2011 jedoch nur auf Platz 6, weit abgeschlagen hinter dem Erstplatzierten Niederlande. Welche Erklärung haben Sie dafür?

Deutschland ist der wichtigste Handelspartner Bulgariens. 2012 hat das Handelsvolumen die Rekordmarke von 4,8 Milliarden Euro erreicht. Vor zehn Jahren betrug der Warenaustausch zwischen beiden Ländern nur 1,9 Milliarden Euro, das heißt seitdem hat er sich mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr lieferte Bulgarien Waren im Wert von 2,2 Milliarden Euro nach Deutschland, mehr als in jedes andere Land. Während die bulgarischen Exporte nicht mehr ganz so hoch wie 2011 waren, kauften die bulgarischen Unternehmen und Konsumenten wieder vermehrt deutsche Produkte.

Deutschland ist nicht nur ein strategischer Investor in Bulgarien, sondern auch der wichtigste Abnehmer bulgarischer Produkte. Nachdem 2011 noch ein Abfluss deutscher Investitionen zu verzeichnen war, betrugen 2012 die deutschen Direktinvestitionen jedoch 177,7 Millionen Euro. Dies entspricht einem Anteil von zwölf Prozent am Gesamtvolumen der ausländischen Investitionen in Bulgarien.

78 Prozent der befragten Mitgliedsunternehmen gaben jetzt an, dass sie wieder in Bulgarien investieren würden. 2012 waren es 65 Prozent. Die diesjährige Antwort ist eine positive Überraschung: Die Konjunkturumfrage der AHK Bulgarien fiel in turbulente Zeiten. Im Befragungszeitraum (04.02.-03.03.2013) erklärte der bulgarische Premierminister Boyko Borissov am 20. Februar seinen Rücktritt. Viele Menschen protestierten auf der Straße. Im Vergleich zum Vorjahr wird jedoch die politische und soziale Stabilität in Bulgarien 2013 kritischer angesehen. 

Deutschland hat bei den Direktinvestitionen im Jahr 2011 sogar abgebaut. Wie kommt dies?

Wenn man die absoluten Zahlen für 2012 betrachtet, ist Deutschland auf dem vierten Platz als Investor im Lande (nach Luxemburg, Russland und der Schweiz). Deutsche Tochterunternehmen, die Geschäftsaktivitäten in Bulgarien unternahmen, hatten von den Muttergesellschaften am Anfang ihrer Tätigkeit Kredite aufgenommen. Im Laufe der Zeit zahlen die Tochterunternehmen diese Kredite zurück an die Muttergesellschaften in Deutschland. Diese Prozesse sind ganz normal. Sie werden aber von der Bulgarischen Nationalbank erfasst und gelten nach bulgarischem Verständnis als Kapitalabfluss. 

Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 12. Mai statt. Was muss die neue Regierung jetzt aus Unternehmenssicht als erstes in Angriff nehmen?

Sie muss vor allen Dingen gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schaffen und für Stabilität und Nachhaltigkeit sorgen. Ferner sollte sie folgende Maßnahmen unterstützen, die aus unternehmerischer Sicht sehr wichtig sind:

  •  rechtzeitige und regelmäßige Rückzahlung der Mehrwertsteuer an die Unternehmen
  •  nicht ständig um neue ausländische Investoren werben, sondern auch diejenigen schätzen und unterstützen, die sich seit Jahren in Bulgarien engagieren. Diese Unternehmen investieren in die Wirtschaft, in die Infrastruktur, in Bildung und in Umweltschutz und sie schaffen Arbeitsplätze.
  •  Optimierung des Berufsbildungssystems. Eine Lösung wäre die Einführung einzelner positiver Elemente der dualen deutschen Berufsausbildung in Bulgarien. Folgen wären: sinkende Arbeitslosigkeit unter den Jugendlichen und Bekämpfung des Fachkräftemangels an gut qualifizierten praktisch orientierten Mitarbeitern in technischen und kaufmännischen Berufen.

Über ausgewählte Investitionsbedingungen in Bulgarien informiert der EuropaService in seiner Länderinformation Bulgarien.

Kurzinserate bulgarischer Unternehmen, die auf der Suche nach Geschäftspartnern in Deutschland sind finden Sie in den Kurzprofilen aus Bulgarien.

Mehr Informationen zur AHK Bulgarien finden Sie unter https://bulgarien.ahk.de/.


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Iris Hemker
Länderinfos, Kooperationsservice


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