Gemeinsame Lösungen finden

Unternehmen in der EU im internationalen Kontext Unterstützung bieten. Dies strebt Flandern während der EU-Ratspräsidentschaft Belgiens an. Die Region hat im Namen aller EU-Mitgliedstaaten den Vorsitz bei Ratssitzungen in den Bereichen Industrie, Jugend, Kultur inne und wird Belgien als Sprecher im Bereich Binnenmarkt vertreten. Gleichzeitig soll der internationale Ruf Flanderns erweitert werden.

Gemeinsame Lösungen finden
Jessica Manthey
Projektleiterin Foreign Direct Investment der Wirtschafts- und Handelsvertretung der Region Flandern

Belgien hat im 1. Halbjahr 2024 die EU-Ratspräsidentschaft inne. Dies ist auch eine gute Gelegenheit Flandern in der EU ins Rampenlicht zu rücken. Was sehen wir in diesem Rampenlicht?

Flandern wird Belgien während der EU-Ratspräsidentschaft 2024  als Präsident des Rates der EU in den Bereichen Industrie, Jugend, Kultur, Medien und Fischerei vertreten. Konkret bedeutet dies, dass flämische Minister und Experten den Vorsitz bei Ratssitzungen zu diesen Bereichen im Namen aller EU-Mitgliedstaaten übernehmen werden. Außerdem werden sie den Rat in diesen sechs Monaten bei den anderen EU-Institutionen und in multilateralen Zusammenhängen vertreten.

Neben der Präsidentschaft wird Flandern Belgien auch als Sprecher für die Bereiche Binnenmarkt, öffentliche Gesundheit, Verkehr, Bildung, Sport, Fischerei und Landwirtschaft vertreten. Dies spiegelt die in Europa einmalige Verteilung der Befugnisse in Belgien zwischen den Regionen bzw. Gemeinschaften und der föderalen Ebene wider, die auch auf der Ebene der Europäischen Union gilt.

Die EU ist der wichtigste Hebel der flämischen Außenpolitik. Der EU-Vorsitz bietet die Gelegenheit, diesen Hebel zu verstärken und den internationalen Ruf Flanderns zu erweitern. Besonderes Augenmerk wird auf die Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherheit, die Verringerung von Abhängigkeiten und die Förderung der technologischen Führungsrolle in kritischen Sektoren gelegt werden. Zur Stärkung und Weiterentwicklung der europäischen Industriepolitik wird der belgische Vorsitz auch die Wirksamkeit von Instrumenten wie IPCEI, Clusterzusammenarbeit, InvestEU und EIC bewerten und analysieren, wie diese Faktoren einen inklusiveren Ansatz für KMU unterstützen können.

Während des Vorsitzes wird es insgesamt zahlreiche Treffen und Veranstaltungen geben. Die belgischen Investitionsgesellschaften finance&invest.brussels, PMV, Wallonie Entreprendre und SFPIM werden die finanziellen Herausforderungen für belgische und europäische Unternehmen vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen wie des US-amerikanischen Inflation Reduction Act angehen. Ziel ist es, gemeinsame Lösungen auf europäischer Ebene zu finden, um den Unternehmen bei den erhöhten Risiken und Finanzierungsschwierigkeiten im internationalen Kontext Unterstützung zu bieten.

 

Am 5. Februar 2024 findet beispielsweise die Veranstaltung Bridging the Funding Gap statt.

Sämtliche Aktivitäten unter der Schirmherrschaft des Ratsvorsitzes sind in einer Übersicht zu finden.

Flandern ist gleichzeitig auch Sprecher im Bereich Binnenmarkt, der jüngst 30 Jahre alt geworden ist. Auch mit 30 Jahren lernt man immer weiterhin dazu. Was fehlt dem Binnenmarkt noch?

Harmonisierung ist und bleibt ein entscheidendes Thema. Die EU bemüht sich ständig um eine Vereinfachung ihrer Regulierungen um den Binnenmarkt zu stärken. Obgleich die Beurteilung teils subjektiv und abhängig von spezifischen Interessen ist, kritisieren Unternehmen übertriebene bürokratische Anforderungen, beispielsweise im Zusammenhang mit A1-Bescheinigungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorübergehend grenzüberschreitend tätig werden.

Ferner sind Umweltauflagen oft kostspielig für Unternehmen, aber wichtig um Standards zu wahren und Nachhaltigkeit zu fördern. Problematisch ist es, dass europäische Vorgaben nicht immer 1:1 national umgesetzt werden. Eine einseitige nationale Verschärfung kann die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen gefährden. Für deutsche Unternehmen, die sich mit andersartigen Vorgaben im Zusammenhang mit Geschäftsaktivitäten in Flandern konfrontiert sehen, fungiert Flanders Investment & Trade als Ansprechpartner. Insgesamt strebt der belgische Vorsitz nachdrücklich einen gerechten Übergang zu einer klimaneutralen und resilienten Gesellschaft an, und berücksichtigt dabei insbesondere die Rolle der KMU bei der Ökologisierung der Wirtschaft.

Gerade bei Diplomen und Berufsqualifikationen fehlen nach wie vor Maßnahmen zur Harmonisierung und gegenseitigen Anerkennung. Das Thema Fachkräfte steht ebenfalls auf der Agenda des belgischen Ratsvorsitzes. Auch wenn die Bewältigung des Fachkräftemangels im Verantwortungsbereich der einzelnen Mitgliedstaaten liegt, strebt man eine Debatte darüber an, inwieweit Maßnahmen auf EU-Ebene unterstützend wirken können.

Darüber hinaus wird sich der belgische Vorsitz weiterhin für die Harmonisierung der Vorschriften und die Förderung von Sicherheit und Transparenz in der Nahrungsmittelproduktion einsetzen. Aus wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Sicht ist ein hohes Niveau an Lebensmittelsicherheit, Tierwohl, Pflanzengesundheit und Energieeffizienz notwendig.

Belgien ist von Beginn an Teil der EU bzw. seiner Vorläufer. Wie hat sich dies auf die wirtschaftliche Entwicklung von Flandern und vom Land insgesamt ausgewirkt?

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Gelder aus den EU-Strukturfonds helfen bei der Modernisierung von Infrastruktur, zum Beispiel kann dadurch der wichtige Hafen Antwerp-Bruges zukunftsfest gemacht werden. (Foto: iStock)

Der belgische Außenminister Paul-Henri Spaak sprach sich schon 1941 für eine Zollunion zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg aus. Die “Benelux-Wirtschaftsunion” erblickte 1944 das Licht der Welt und war in der Tat ein Vorläufer der Europäischen Union.

Die EU hat durch den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen die wirtschaftliche Entwicklung Belgiens und Flanderns mit seiner exportorientierten Industrie entscheidend geprägt. Insbesondere die Beseitigung von Handelshemmnissen hat den Handel mit anderen EU-Mitgliedstaaten gesteigert. Ein naheliegendes Beispiel: Belgisches Bier darf Verbrauchern in Deutschland angeboten werden, indem durch entsprechende Kennzeichnung das deutsche Reinheitsgebot bewahrt wird.

Die finanzielle Unterstützung durch EU-Strukturfonds hat die Modernisierung der Infrastruktur in Flandern gefördert und regionale Ungleichheiten verringert. Ein ganz aktuelles Beispiel sind die EU-Fördermittel für das CO2-Exportzentrum in Antwerpen. Der Port of Antwerp-Bruges hat für den Terminal eine strategisch günstige Lage im Hafen reserviert und wird neue Kaianlagen für das Anlegen von CO2-Schiffen bauen. Dieses internationale Projekt hat das Potenzial, die CO2-Emissionen im Hafen bis 2030 um mehr als 50 % zu reduzieren und trägt damit auch zur Zielsetzung des europäischen Green Deal bei, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. EU-Fördergelder eröffnen auch deutschen Unternehmen gute Geschäftschancen, zum Beispiel in den Bereichen Windkraft, Wasserstoff, nachhaltige Mobilität, Dekarbonisierung und Kreislaufwirtschaft. Vom 15. bis 18. April findet beispielsweise eine Konferenz zur Kreislaufwirtschaft statt.

Dank der EU-Unterstützung für Forschung und Innovation sind zahlreiche belgische Forscher an europäischen Forschungsprojekten beteiligt, die unsere Gesundheit, unsere Mobilität, unsere Konnektivität oder unser Lebensumfeld verbessern. Laut European Innovation Scoreboard rangiert die Region Flandern in puncto Innovationsleistung in der europäischen Top 5.

Innerhalb Horizon Europe, des bisher größten EU-Rahmenprogramms für Forschung und Innovation, konnte die KU Leuven die meisten Projekte einwerben und ist damit aktuell der größte Zuwendungsempfänger unter den Hochschuleinrichtungen.

Der Belgische Vorsitz will die Rolle von Forschung, Entwicklung und Innovation und damit die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der wichtigsten EU-Wertschöpfungsketten stärken.

 

Was ist in wirtschaftlicher Hinsicht der größte Unterschied zwischen den Regionen in Belgien?

Im Vergleich zum frankophonen Wallonien und der zweisprachigen Hauptstadtregion Brüssel ist das niederländischsprachige Flandern der stärkere wirtschaftliche Motor des Landes.

Flandern zieht üblicherweise auch die meisten ausländischen Direktinvestitionen (FDI) an. Diese Attraktivität für FDI-Projekte kann auf mehrere Schlüsselfaktoren zurückgeführt werden. Flandern ist bekannt für seinen starken Dienstleistungssektor und einen hochentwickelten, exportorientierten Industriesektor. Die Region beheimatet einen bedeutenden Teil der belgischen Hightech-, Pharma- und Chemieindustrie sowie die wichtigen Häfen Port of Antwerp-Bruges und North Sea Port (Gent), die wesentliche Knotenpunkte für internationalen Handel und Logistik darstellen.

Der Port of Antwerp-Bruges ist Europas zweitgrößter Hafen und Standort des weltweit zweitgrößten Chemiecluster nach Houston in Texas. Zudem spielt er eine Schlüsselrolle für die Produktion, den Vertrieb und die Nutzung von grünem Wasserstoff in Europa. Mit Unterstützung der flämischen Regierung ist der Hafenbetrieb seit 2022 Mitglied der deutschen Stiftung H2Global.

Die zentrale Lage in Europa und die Nähe zu anderen großen Märkten wie – neben Deutschland als wichtigstem Auslandsmarkt für den belgischen Export – Frankreich, den Niederlanden und UK sind ebenfalls wichtige Faktoren. Flandern verfügt außerdem über gut ausgebildete und mehrsprachige Arbeitskräfte, was insbesondere für multinationale Unternehmen sehr attraktiv ist. In Kombination mit der bereits genannten starken Ausrichtung auf Forschung und Entwicklung, steuerlicher Forschungsförderung und großzügigen finanziellen Zuschüssen (bis zu 60%) der flämischen Regierung, bietet die Region Flandern mit die besten F&E-Anreize in Europa.

Brüssel, als Hauptstadt Belgiens und Sitz vieler EU-Institutionen, zieht ebenfalls eine beträchtliche Menge an FDI an, insbesondere im Dienstleistungssektor und in Bereichen, die mit internationalen Organisationen und der EU-Verwaltung verbunden sind.

Wallonien hat ebenfalls große Fortschritte gemacht, indem es ausländische Investitionen in spezifische Sektoren wie Biotechnologie, Logistik und Energie anzieht. Historisch war Wallonien das Zentrum der belgischen Schwerindustrie, insbesondere Stahlproduktion und Kohlebergbau. Heute ist die Region im Umbruch, allerdings mit einer weniger starken Ausrichtung auf Export und internationalen Handel im Vergleich zu Flandern.

Flandern hat im Gegensatz zu Wallonien keine direkte Grenze mit Deutschland. Dennoch ist der Austausch sehr intensiv. Wie könnte er aus unternehmerischer Sicht noch besser sein?

Die Region Flandern agiert – teils bewusst – in vielen Bereichen unter dem Radar, ganz anders als der Nachbar Niederlande. Die belgische Bescheidenheit ist grundsätzlich eine angenehme Tugend, sie sorgt aber auch dafür, dass die Region international oft weniger gesehen wird. Würden beispielsweise die High-Tech Startup-Ökosysteme von Gent, Antwerpen, Leuven und Hasselt mehr trommeln, um auf ihre Qualitäten aufmerksam zu machen, würde dies den Austausch zweifellos intensivieren.

Gleichzeitig würden Startups und Scaleups schneller international wachsen, wenn die Vorschriften für sie in Europa grenzüberschreitend einheitlich wären. Jüngste Initiativen wie Startup.Flanders und „Take a Seat in the Euregion“ unterstützen kostenfrei den Austausch mit Inkubatoren und Investoren in Flandern. Gleichzeitig fördern wir als Wirtschaftsvertretung den bilateralen Austausch durch Delegationsreisen in Zusammenarbeit mit Partnern wie GTAI, regionalen Handelskammern und Verbänden. Auch hier bewahrheitet sich der Spruch man traut einem Auge mehr als zwei Ohren. Das heißt, es ist besser, sich vor Ort ein eigenes Bild zu machen.

Wenn ein deutsches Unternehmen für seine Produkte in den verschiedenen Regionen von Belgien werben möchte. Welche Besonderheiten gilt es zu beachten?

Es gibt tatsächlich einige Unterschiede im Kaufverhalten. So lässt sich beobachten, dass die französischsprachigen Belgier im Allgemeinen etwas stärker auf Frankreich und französische Produkte ausgerichtet sind, was auch durch die stärkere Verbreitung französischer Medien in Wallonien und Brüssel zu erklären ist. So sind zum Beispiel französische Automarken wie Citroën und Peugeot südlich der Sprachgrenze beliebter. Im vergangenen Jahr war BMW die meistverkaufte Automarke in Flandern, in der Hauptstadtregion Brüssel war es Peugeot und in Wallonien Dacia.

Noch gut zu wissen für deutsche Winzer ist: Flamen sind eher Bordeaux-Trinker, Wallonen bevorzugen Burgunder. Der Anteil französischer Weine ist in Wallonien viel höher als in Flandern, wo man schon länger eine Auge für Weine aus anderen Ländern hat. Und wussten Sie, dass Flandern auf dem besten Weg ist, selbst eine Weinregion zu werden?

 


Zur Ratspräsidentschaft Belgiens gibt es eine eigene Webseite und auch von der Region Flandern gibt es einen eigenen Webauftritt dazu.

Die Dienstleistungen der Wirtschafts- und Handelsvertretung der Region Flandern finden Sie ebenfalls auf einer Webseite.

 


Unternehmen, die sich in Belgien engagieren möchten, finden weitere Hinweise über geschäftliche Rahmenbedingungen in der Länderinformation Belgien. Kurzprofile belgischer Unternehmen, die Partner in Deutschland suchen, sind ebenfalls beim EuropaService zu finden. Auch die aktive Geschäftspartnersuche ist möglich.

 


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Iris Hemker
Länderinfos, Kooperationsservice


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