China: Chancen durch neues Abkommen und viel guanxi

Gut sechs Prozent mehr Wachstum, ein grüner Umbau, Technologieführerschaft und eine Stärkung der Inlandsnachfrage, so Pekings Plan für die Zukunft. Bessere Möglichkeiten für deutsche Unternehmen könnten sich durch ein Investitionsabkommen und gegenseitiges Verständnis ergeben. Das Enterprise Europe Network unterstützt insbesondere KMU mit Kontakten ins Riesenreich.

China: Chancen durch neues Abkommen und viel guanxi
Im Gespräch mit
Sven Erichson
Projektmanager Enterprise Europe Network bei der IHK Magdeburg und Mentor für Zentralchina beim EEN

Die Verhandlungen zwischen der EU und China zum Investitionsabkommen sind abgeschlossen. Wie ist Ihre Einschätzung? Bekommen Sie Reaktionen von Unternehmen aus der IHK-Region?

Das kürzlich zwischen der EU und China abgeschlossene Investitionsabkommen soll europäischen Unternehmen Investitionsschutz und verbesserten Marktzugang im Reich der Mitte bieten. Es soll aber auch diskriminierende Praktiken in Zukunft untersagen. Diese Investitionsbeziehung ist für China erstmals wertebasiert und stützt sich auf Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung. Derzeit wird der Wortlaut auf beiden Seiten fertiggestellt, juristisch überprüft und übersetzt. Danach wird er dem Rat und EU-Parlament zur Annahme vorgelegt. Ziel ist es, dass das Abkommen in der ersten Jahreshälfte 2022 unterzeichnet werden soll. Festgehalten muss an dieser Stelle aber auch, dass es sich bei diesem Abkommen nicht um ein Freihandelsabkommen handelt.

Grundsätzlich ist das Investitionsabkommen zu begrüßen. Zwar ist die chinesische Wirtschaft auf dem Papier verhältnismäßig offen gewesen, jedoch haben systematische Einschränkungen und Zwänge europäische Unternehmen, vor allem kleine und mittlere Unternehmen, stark benachteiligt. Zum Beispiel gibt es in der Autoproduktion oder Pharmazie einen Joint Ventrue-Zwang oder zu bestimmten Wirtschaftssektoren wie Krankenhäuser gibt es keinen Zugang. Falls diese Praktiken überwacht und an eine Europäische Vertretung in China berichtet werden könnten, wäre dies für die Zukunft sehr hilfreich und somit bekäme das Abkommen entsprechend Gewicht.

Als IHK beobachten wir die weiteren Entwicklungen sehr eng, um Unternehmen bei Kooperationen mit chinesischen Unternehmen unterstützend zur Seite zu stehen. Mit den Online-Expertengesprächen zu China bieten wir Unternehmen aus dem IHK-Bezirk Magdeburg eine hervorragende Plattform, um mit Experten bei der AHK in Shanghai ins Gespräch zu kommen. Das Abkommen als solches wurde auch schon auf diesen Treffen diskutiert, jedoch müssen wir die weiteren Schritte bis zur finalen Unterzeichnung abwarten. Auch an China interessierte Unternehmen aus dem IHK-Bezirk warten erst einmal ab.

Das Abkommen soll auch den Handel erleichtern. Welche Veränderung erwarten Sie durch das Abkommen, wenn es vielleicht im Jahr 2022 in Kraft ist?

Das Abkommen regelt verschiedene Marktzugangsverpflichtungen Chinas gegenüber europäischen Investoren. Beispielhaft seien hier ein paar Erleichterungen genannt:

- Automobilindustrie: Joint-Venture-Auflagen werden abgeschafft oder laufen aus, China verpflichtet sich zum Marktzugang für alternativ angetriebene Fahrzeuge.

- IT-Dienstleistungen: der Marktzugang wird zugelassen; es soll eine Technologieneutralitätsklausel aufgenommen werden, die gewährleisten würde, dass Obergrenzen für Beteiligungen, die für Telekommunikationsdienstleistungen mit Mehrwert gelten, nicht auf andere online angebotene Dienstleistungen in den Bereichen Finanzen, Logistik, Medizin usw. angewandt werden.

- Dienstleistungen für Unternehmen: China wird Joint-Venture-Auflagen in den Bereichen Immobiliendienstleistungen, Miet- und Leasingdienstleistungen, Reparatur und Wartung für Verkehr, Werbung, Marktforschung, Managementberatung und Übersetzungsdienstleistungen usw. abschaffen.

- Gesundheitswesen (private Krankenhäuser): Den Markt wird China weiter öffnen, indem es Joint-Venture-Auflagen für private Krankenhäuser in wichtigen chinesischen Städten aufhebt.

Es bleibt abzuwarten, ob die angekündigten Erleichterungen dann auch so im täglichen Leben umgesetzt werden. 

Innerhalb des EEN sind Sie Mentor für Zentralchina. Was ist gerade an dieser Region interessant für Unternehmen in Deutschland?

Die Region Zentralchina ist nicht nur kulturhistorisch spannend. Vor allem für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas nimmt diese Region insgesamt eine Schlüsselrolle ein. Besonderes Augenmerk der chinesischen Regierung liegt auf der Region Hubei. In den jeweiligen Fünfjahresplänen 2006, 2011 und 2016 wurde in der Strategie zum Aufstieg Zentralchinas ausdrücklich der Ausbau von fortgeschrittenen Fertigungstechnologien und sich neu entwickelnder Technologien festgeschrieben. Dabei kam der Digitalisierung in Produktionsprozessen eine zentrale Bedeutung zu. Diese Entwicklung wird wohl auch im kommenden Fünfjahresplan fortgeführt. Die Hauptstadt Wuhan, nun wohl eher mit dem Covid-19-Virus in Verbindung gebracht, führt diese Entwicklung an. Die Stadt ist führend in Produktion sowie Forschung und Entwicklung von Glasfaserkabeln.

Verkehrstechnisch ist die Region Zentralchina hervorragend in das Hochgeschwindigkeitsnetz der chinesischen Bahn integriert. So ist Zhengzhou, die Hauptstadt Henans, der zweitgrößte Eisenbahnknotenpunkt nach Verkehrsaufkommen in China. Der Bahnhof Zhengzhou Ost ist sogar Asiens größter Umsteigebahnhof. Die Provinz Henan etabliert sich weiterhin als wichtiger Verkehrshub.

Die Hauptindustrien der Provinz Hunan sind die Produktion von Eisen, Stahl sowie nichteisenhaltigen Metallen und Maschinenbau. Immer mehr entwickelt sich hier die Produktion von elektrischer Ausrüstung, von Fahrzeugen (e-Mobilität) und Anlagen zur regenerativen Stromerzeugung. Für die Kreativindustrie ist die Hauptstadt Changsha sehr interessant, denn sie strebt an, führend in der chinesischen New Media-Industrie zu werden. Die Anwendung von künstlicher Intelligenz und der weiteren Erforschung für Anwendungsgebiete in dieser Industrie sind auf höchstem Niveau entwickelt.

Im März wird der kommende Fünfjahresplan, der dann bis 2026 gilt, verabschiedet. Das Ziel, China als globalen Innovationsführer zu entwickeln, steht bereits fest. Das Ganze ist in Pekings Vision, China bis 2050 zum globalen Science Powerhouse zu entwickeln und zu etablieren, verankert.

Auch viele der Kontaktstellen in Zentralchina, mit denen das EEN zusammenarbeitet, sind technisch orientiert. In der Provinz Hunan sind dies: Changsha High-tech Zone Innovation Service Centre, Hunan Institute of Science and Technology Information, China Council for the Promotion of International Trade Hunan Sub-council; in der Provinz Hubei: Wuhan Science & Technology Transfer Center und in der Provinz Henan: China Council for the Promotion of International Trade Henan Provincial Committee. 

Worin bestehen genau Ihre Aufgabe als Mentor? Mit welchen Fragen kommen die Partner aus China auf Sie zu?

Die Hauptaufgabe des Mentors ist vor allem eine Brückenfunktion zwischen Europa und den Business Cooperation Centres bei den jeweiligen assoziierten Partnerorganisationen. Ziel ist es, die Integration der Business Cooperation Centres in das Enterprise Europe Network zu fördern und deren Leistungen in Bezug auf Europa zu erhöhen. Dabei stehen die Mentoren den Partnern in Europa und den entsprechenden Ländern mit praktischen Ratschlägen für das tägliche operative Geschäft zur Seite. Gemeinsam werden Veranstaltungen (Brokerage Events, Company Missions) organisiert sowie Kooperationsprofile ausgetauscht und verbreitet.

Für mich als Mentor ist es immer wieder interessant, dass Fragen zum interkulturellen Verständnis gestellt werden. Aber das ist auch vollkommen richtig und notwendig. Zwar leben wir in einer globalisierten und digitalisierten Welt, aber das gegenseitige Verständnis der jeweiligen Kulturen ist unabdingbar und wird auch zukünftig eine gewichtige Rolle spielen. Aber auch Denkansätze oder Wege zum Auffinden von Lösungen divergieren. Als Beispiel sei hier die Präsentation von Unternehmensprofilen genannt. Chinesische Profile starten oft erstmal mit einer langen Einleitung zu den Errungenschaften des Unternehmens, zu seiner Stellung insgesamt, wobei dann zu Zukunftsplänen umgeleitet wird. Europäische Unternehmensprofile konzentrieren sich vor allem auf das, was gesucht bzw. angeboten wird. Für mich als Mentor ist da sehr viel Fingerspitzengefühl gefragt, denn in ihrer ursprünglichen (mir vorgelegten) Form würden die Profile nie den Qualitäts-Check bestehen, den jedes Profil durchlaufen muss, bevor es in die Partnership Opportunities Database des EEN eingestellt wird. Der Datenbank, die dem Austausch der Kooperationsprofile dient.

Die chinesischen Kolleginnen und Kollegen fragen oft zu europäischen Strukturen, Arbeitsabläufen und Voraussetzungen für Kooperationsmöglichkeiten. Oftmals kommt es mir dabei vor, dass sie ihre Informationen nur noch einmal bestätigt wissen wollen.

Wenden sich auch EEN-Partner aus Deutschland oder anderen Ländern mit Fragen zu China an Sie? Wenn ja, worum geht es dann?

Fragen deutscher Netzwerkpartner bewegen sich von interkulturellen Herausforderungen bis zu finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten in China selbst. Mittlerweile gewinnen die Themen Digitalisierung und neue Technologien in China immer mehr Aufmerksamkeit bei europäischen Partnern und Unternehmen.

In Europa verkennen wir sehr oft, dass die Chinesen besser über uns in Europa Bescheid wissen als wir über China. Für die Zukunft wäre mir ein offener Umgang mit gegenseitigem Verständnis aller Seiten untereinander sehr wichtig.

Das Riesenreich China ist im EEN mit 10 Partnerorganisationen in 7 Städten vertreten. Welche Bedeutung spielen diese EEN-Partner in der Wirtschaft Chinas?

Die EEN-Partner in China, die sogenannten Business Cooperation Centres (BCC), sind, wie in Europa auch, bei Trägerorganisationen angeschlossen und in diesen integriert. Das können Industrie- und Handelskammern, Wirtschaftsförderungen oder auch Forschungseinrichtungen sein. An dieser Stelle ist wichtig zu erwähnen, dass die Trägerorganisationen keine Förderung erhalten, wie die echten Enterprise Europe Network Partner in Europa. Vielmehr spiegeln sich in dieser ideellen Kooperation solche Ideen wie, einen direkten Draht nach Europa zu haben und eng mit europäischen Institutionen und Partnern zusammenzuarbeiten. Sicherlich ist es für die Leitungen der chinesischen Einrichtungen auch ein Prestigeobjekt. Untereinander verglichen, kann ich nur feststellen, dass alle chinesischen Trägerorganisationen zum EEN bzw. BCC stehen und dieses tatkräftig unterstützen. Bezogen auf die jeweiligen Regionen spielt das EEN für Unternehmen, die in Richtung Europa, auch umgekehrt, unterstützt werden, schon eine wichtige Rolle.

Eine Aufgabe des EEN ist es KMU aus verschiedenen Ländern zusammenzubringen. Hierzu können u.a. Unternehmensprofile in eine gemeinsame Datenbank eingestellt werden. Aus China sind es lediglich 34 Profile. Wie erklären Sie sich die geringe Anzahl?

Hier spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zum einen funktioniert das Netzwerken in China ganz anders als in Europa. Der Aufbau und das Verhalten in den zwischenmenschlichen Beziehungen (chinesisch: guanxi) ist das A und O des chinesischen Sozialgefüges, welches wiederum Einfluss auf die wirtschaftlichen Beziehungen und darüber hinaus hat. Die Kooperationspartnersuche über die POD entspricht nicht unbedingt diesem Miteinander. So werden Kooperationspartner (wenn gesucht) häufig über andere zwischenmenschliche Kanäle gefunden („Ich kenne jemand, der jemand kennt.“) Zum anderen ist der Einfluss und die Effizienz der (chinesischen) sozialen Medien (WeChat, Weibo u.a.) unbedingt zu beachten. Chinesische Unternehmen haben jeweils dort ihren Auftritt, über den auch Partner gesucht werden. Das ist nach Meinung der Chinesen viel schneller und effektiver. Zum Dritten spielen aber auch nicht vorhandene Fremdsprachenkenntnisse eine Rolle.

Eine andere Möglichkeit besteht darin gemeinsam Kooperationsbörsen zu organisieren und anzubieten. Wie sieht es hierbei mit deutsch-chinesischen Aktivitäten aus?

In der Vergangenheit gab es gemeinsam, bundeslandbezogen organisierte Kooperationsveranstaltungen. Diese waren dann an auch für Chinesen wichtige internationale Veranstaltungen gekoppelt, wie z.B. die Hannover-Messe. So gab es z.B. im

Anschluss an diese Messe Kooperationstreffen entweder bei uns in Sachsen-Anhalt oder in Mecklenburg-Vorpommern. Die Provinz Hunan und Hessen sind zum Beispiel Partnerregionen. Hier gibt es einen lebhaften Austausch.

Gegenwärtig organisiert die Arbeitsgruppe Internationalisierung des EEN Informationstage zu den jeweiligen Business Cooperation Centres. Hier wird auch China thematisiert.

Aber gerade vor dem Hintergrund des Investitionsabkommen und den sich bietenden Möglichkeiten für europäische Unternehmen diskutiere ich mit den chinesischen Kolleginnen und Kollegen zukünftige gemeinsame Veranstaltungen.

Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wird Unternehmen geraten, für Reisen nach China einen Reiselaptop und ein Wegwerf-Handy zu benutzen und dies nach der Reise zu entsorgen. Kann man da ruhigen Gewissens Geschäfte in und mit China machen?

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Das gilt nicht nur für China, sondern generell. China und darüber hinaus Ostasien ist der globale Zukunftsmarkt, der ungeahnte Chancen bietet. Durch das Investitionsabkommen erhalten europäische Unternehmen nun eine Art Absicherung für das China-Geschäft. Unternehmen, die an diesem Wachstumsmarkt interessiert sind, würde ich auf jeden Fall raten, sich mit ihm genauestens vertraut zu machen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist in Sicherheitsfragen eine sehr gute Adresse. Aber auch Absicherungen in Richtung Schutz des geistigen Eigentums sind unerlässlich. Diesbezüglich arbeitet das EEN eng mit dem China IPR SME Helpdesk zusammen.

Sie selbst nutzen zur Kommunikation WeChat. Haben Sie keine Bedenken?

WeChat ist das zentrale Kommunikationsmedium in China. Übertrieben gesagt: Ohne ist man quasi „lebensunfähig“. Solange man sich an die Regeln hält, wie zum Beispiel keine antistaatlichen Parolen oder Aufrufe zu Terrorakten verkündet, kann nichts passieren. Von daher habe ich keine Bedenken.


Kurzprofile aus China können Sie in unserer Rubrik Eurokontakte finden recherchieren.

Iris Hemker
Länderinfos, Kooperationsservice


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